Dänemark Städtetrips

Insel der Kreativen – Makers Island Bornholm

Bornholm huldigt seinen Kunsthandwerkern mit den Bornholm Craft Weeks

Endlich wieder Bornholm nach fast zwei Jahre Pandemiepause mit starken Entzugserscheinungen. Als wollte sich Bornholm entschuldigen für die lange Wartezeit, empfängt die Insel meine Familie und mich mit einem zauberhaft von der Sonne in Szene gesetzten Ausblick auf die Ostsee, als wir auf unser Ferienhaus oberhalb von Bølshavn zufahren, die historische Festungsinsel Christiansø am Horizont, Dänemarks einzige Schärengruppe und östlichster Landflecken. Diese Aussicht begeistert uns die ganze Woche.

Für das Kunsthandwerk kommen wir genau passend zur Eröffnung der Bornholm Craft Weeks. Sechs Wochen im September und Oktober huldigt Bornholm jedes Jahr seiner weltbekannten Kunsthandwerker-Szene mit Ausstellungen, Workshops für Erwachsene wie Kinder, offenen Werkstätten und Ateliers, Künstlergesprächen, geführten Spaziergängen oder Bustouren mit und zu Kunsthandwerkern überall auf der Insel und sogar eine Bornholmer Meisterschaft im Keramikdrehen wird „ausgedreht“.

Bornholm im Hochadel der weltweiten Kunsthandwerker-Regionen

Kaum sonst wo in Europa findet man so viele exzellent ausgebildete Kunsthandwerker und Kunsthandwerkerinnen auf so engem Raum, darunter auffällig viele junge Kreative. Sie formen Glas, Porzellan und Steinzeug, färben luftige Stoffe und nähen daraus individuelle Mode, bringen Holz in skulpturale Formen, stellen in alter nordischer Tradition edelste Messer her oder pflegen ganz im Stil neuen, nachhaltigen Denkens das Upcycling schon einmal gebrauchter Gegenstände zu neuen Kunstobjekten.

Auf der Eröffnungsfeier der diesjährigen Bornholm Crafts Weeks werden als Gründe für diese außergewöhnliche Qualität und Vielfalt immer wieder drei Faktoren beschworen: Die vielen Aktivitäten der Vereinigung der Bornholmer Kunsthandwerker „Arts & Craft Association Bornholm“, die Tatsache, dass mit der Königlichen Akademie für Glas- und Keramik-Design in Nexø eine weltweit beachtete Hochschule seit nunmehr 25 Jahren junge Kunsthandwerker von allen Kontinenten nach Bornholm lockt, und schließlich 2017 die Anerkennung der Insel zur seinerzeit ersten europäischen World Craft Region durch das international renommierte World Craft Council. Die Auszeichnung gab der kreativen Szene vor Ort eine ungeheures Selbstbewusstsein und sorgt seitdem für große Unterstützung durch private Sponsoren wie auch durch die Politik.

Bornholms wichtigste Kulturinstitutionen unterstützen die Craft Weeks

Mit Grønbechs Gård – Bornholms Center For Kunsthandværk in Hasle und Bornholms Kunstmuseum unterstützen die beiden wichtigsten Kulturinstitutionen der Insel das Kunsthandwerk und ihre Craft Weeks. Viele Objekte in mehreren Einzelausstellungen stammen dort von Absolventen der Königlichen Akademie in Nexø, die nach der Ausbildung auf Bornholm geblieben sind. Für Viki Noorman Kert, Leiterin der Hochschule, bereichern nicht nur die Absolventen der Akademie Bornholms kreative Szene, sondern das beginnt schon während der Ausbildung, wenn die Studenten Praktika bei etablierten Kunsthandwerkern auf der Insel machen oder dort Ferienjobs annehmen. Das Netzwerk über alle Generationen mit der Akademie als Mittel- und Vermittlungspunkt sieht Viki als das große Plus, das die Bornholmer Kunsthandwerker Szene so stark und gut macht.

Vom glühenden Glasklumpen zur Glaskunst
Die Herstellung ist ein einzigartiges und atemberaubendes Erlebnis!

Im Studio von Baltic Sea Glass nahe dem malerischen Küstenstädtchen Gudhjem komme ich gerade rechtzeitig an, um zu erleben, wie Tobias Sode, der hier für die UNIKA-Produktionen steht, unterstützt von seinem finnischen Assistenten Erno Takala aus einem glühenden Glasklumpen eine große Vase kreiert. Faszinierend! Der wenige Platz zwischen glutheißen Öfen und jener Bank, an der das Glas geblasen und geformt wird, ist eine Bühne für die beiden. Jeder Handgriff sitzt und trotzdem merkt man, dass über alle Routinen hinaus noch experimentiert und diskutiert wird, bis schließlich Erno wie ein Raumfahrer verkleidet das noch mehrere hundert Grad heiße Objekt mit übergroßen Asbesthandschuhen packt und in den Abkühlungsofen stellt.

Jordforbindelser 2.0 – mit Erde experimentieren
Wenige einfache Formen, aber viele Farbnuancen prägen ihre Werke

In Nexø gehören Rick Gerner und Johanne Jahncke mit ihrem Studio Gerner Jahncke zu den wenigen Kunsthandwerkern der Insel, die sowohl mit Glas als auch mit Porzellan arbeiten. Sie haben an dutzenden Orten auf Bornholm, aber auch in Island und Japan weit über hundert Erdproben gesammelt, gereinigt und als Zusätze für Glasuren und Glas verarbeitet. Jeder Klumpen bringt andere Farben hervor, bei den isländischen entstehen sogar ungewöhnliche Strukturen in den Glasuren, womöglich liegt es an der Asche von Vulkanausbrücken, meint Rick. Wie die Glasuren am Ende ausfallen, wissen Beide nicht, aber sie werden es dokumentieren. So wirkt auch ihre Sonderausstellung „Jordforbindelser 2.0“ im Grønbechs Gård, die Teil der Craft Weeks ist, eher wie ein arbeitendes Labor als wie museale Kunst.

Johanne schleift mit meditativer Handarbeit die Oberfläche der Vasen glatt, während Rick die Erde einer Bornholmer Baustelle inspiziert
Mit viel Enthusiasmus erklärt Mie Mølgaard, dass Porzellan sich so dünn gießen lässt, dass es transparent wird
Altes Fachwerk voller Kunsthandwerk

Porzellan im Hohlgussverfahren gießt auch Mie Mølgaard im Künstlerhaus Sjøgaarinj, einem großen Fachwerkhaus im Hafen von Rønne. Tassen, Kännchen, Vasen und Uhren hat sie im Programm und experimentiert mit dem Prototypen einer Porzellan-Lampe. Mit allen Brenn-, Abkühl- und Schleifgängen ist jedes Objekt mehrere Tage im Produktionsprozess mit viel Handarbeit bei jedem Schritt – das macht Porzellan heute wie früher zu einem teuren Gut.

Zusammen mit Mie Mølgaard residiert die Galerie Køppe Contemporary Objects im Sjøgaarinj und zeigt als Beitrag zu den Bornholm Craft Weeks die Ausstellung „Michael Geertsen – From Decon to Deco“ mit dekorativen, skulpturalen Arbeiten der letzten 20 Jahre des Künstlers. Michael Geertsen zählt zu Dänemarks bekanntesten Keramik-Künstlern, seine Werke stehen in bedeutenden Designmuseen weltweit. Die Vielfalt des Bornholmer Kunsthandwerks zeigt im Sjøgaarinj schließlich die Modedesignerin Pernille Vestergaar mit ihrer Boutique Gevandt. Sie schneidert in einer kleinen Stube hinter ihrem Shop klassisch feminine Mode – gelernt hat sie ihr Handwerk beim Königlichen Theater in Kopenhagen.

In alter Tradition: Hjorths Fabrik

An mehr als anderthalb Jahrhunderte Kunsthandwerk in Rønne erinnert die alte Keramik-Manufaktur Hjorth, 1862 gegründete und heute als arbeitendes Museums Hjorths Fabrik weitergeführt. „Artist in residence“ kreieren hier große Unikate, aber auch kleine Serien Keramik-Kunst und Gebrauchs-Steingut. Sogar die Töpferscheiben werden noch per Fuß angetrieben. Nebenan malt Alice Bertelsen Blumenmotive auf dünnwandige Vasen. Sie hat diese Kunst bei der Königlichen Porzellanmanufaktur in Kopenhagener gelernt. In Hjorths Fabrik ist sie auch für eine kleine, besondere Serie zuständig, die hier handgefertigt und -gemalt wird: Blutspende-Pelikane. Die bekommen dänische Blutspender als Anerkennung zur 100sten Blutspende. Warum aber Pelikane in Dänemark? Im Mittelalter glaubte man, Pelikane würden ihre Jungen mit Blut füttern und so wurde der Vogel in der frühchristlichen Ikonographie sogar zu einem Symbol für die Opferbereitschaft Jesu.

Bornholms Mehrwert: Kunst trifft auf Natur

Trotz der Angebote der Craft Weeks lässt Bornholm um diese Jahreszeit noch viel Raum, seine anderen Schönheiten zu genießen. Das Licht wirkt klarer als im Hochsommer. Die bunten Farben der kleinen Städte treten in einen Wettstreit mit denen der Natur, besonders intensiv an Kyststien, dem Wanderweg, der rund um die Insel über 117 km der Küste folgt. Früchte und Beeren an Sträuchern und Bäumen leuchten vom Orange der allgegenwärtigen Mehlbeeren über alle Rottöne der Hagebutten bis zum Tiefdunkelrot der Fliederbeeren. Dazwischen knallgrüne Äpfel, die noch ein paar Sonnentage zum Reifen brauchen.


© Christoffer Linus
Weihnachts-Hygge: Bornholm Julemarked 2022

Anheimelnde Julehygge zieht mit Bornholms größtem Weihnachtsmarkt an allen vier Adventswochenenden sowie zur Wintersonnenwende am 21./22. Dezember in der zweitgrößter Inselstadt Nexø ein. Viel Wert wird auf das hochwertige Kunsthandwerk und auf regionale Genüsse von Karamellbonbons bis Gin gelegt, auch lokales Bier und traditioneller Gløgg, die nordische Antwort auf Glühwein, werden an den Ständen kredenzt. Die einzigartige Weihnachtbeleuchtung, die dem Markt besonderen Charme gibt, ist ein exklusives Design der Glaskünstlerin Pernille Bülow aus Svaneke.  Details www.bornholmsjulemarked.dk.


Wichtige Links:
Touristeninformation Destination Bornholm: www.bornholm.info/de
Programm Bornholm Craft Weeks: www.makersisland.bornholm.dk/en/bcw22
Maker’s Island Bornholm
auf Instagram: www.instagram.com/makers_island_bornholm/
Arts & Craft Association Bornholm (ACAB) mit allen kreativen Mitgliedern: www.acab.dk
Interaktive Karte mit Standorten aller ACAB Kunsthandwerker: www.acab.dk/bornholm-kk

An-/Abreise nach Bornholm von Deutschland:
Es gibt mehr Reisewege zwischen Deutschland und Bornholm, als viele ahnen. Am bekanntesten ist in Deutschland die Direktroute mit Bornholmslinjen vom Fährhafen Sassnitz-Mukran nach Rønne (ca. 3 Std. 20 Minuten, Sommersaison 1-2 x täglich, bis Ende Oktober bis zu 6 x wöchentlich, sonst mindestens 2 x wöchentlich, außer während der Winterpause 3. Januar – 22. März 2023).
Alternativ kann man jeden Tag ganzjährig Routen der Reederei innerhalb Dänemarks von Køge bei Kopenhagen nach Rønne (ca. 5 Std. 30 Min. Abend-/Nachtfahrt) oder via Schweden ab Ystad (Katamaran Schnellfähre 75 Minuten) nutzen. Die Überfahrten ab Ystad lassen sich gut kombinieren mit Nachtfahrten nach Schweden ab Travemünde oder Rostock mit TT-Lines oder ab Travemünde nach Malmö mit Finnlines.

Übernachten:
Auf Bornholm gibt es zahllose Ferienhäuser und -Wohnungen. Eine große Auswahl überall auf der Insel vermittelt dansk.de, Online-Portal der Ferienhausvermittlung Kröger + Rehn in Hamburg. Dort ist auch Beratung und Buchen per Telefon möglich: 040 54 77 950 oder 0800 358 75 28. Eine umfassende Übersicht mit Links zu Hotels, Pensionen, Hostels und Campingplätzen auf der Webseite von Destination Bornholm.

Schlagwörter

Über den Autor

Hans Klüche

Hans Klüche lebte mehrere Jahre in Dänemark und berichtete von dort als freier Auslandskorrespondent für öffentliche rechtliche wie private Hörfunksender. Als er aus familiären Gründen wieder nach Deutschland zog, blieb er dem Land als Autor und Fotograf treu und schreibt jetzt regelmäßig im Nordis-Magazin über das kleine Königreich. Zur Recherche durchstreift er es immer wieder von Felseninseln der Ertholmene ganz im Osten bis zu den rauen Stränden der Nordseeküste. Hans verfasst jedes Jahr den Dänemark-Teil des »Nordis Skandinavien Reisehandbuch« und hat auch sonst zahlreiche Reiseführer, Bildbände und sogar ein Hörbuchmanuskript geschrieben. Außer über Dänemark veröffentlichte er schon über Island, Norwegen und Neuseeland. Alle Titel finden sich auf seiner Autorenseite bei einem großen Online-Händler (www.hans-klueche.de). Aktuell Lieferbar sind u.a. »DuMont Reisehandbuch Dänemark«, »DuMont Reisetaschenbuch Dänemark Nordseeküste«, »DuMont direkt Kopenhagen« und über das Traumziel auf der anderen Seite der Erde das »DuMont Reisehandbuch Neuseeland«.

Kommentieren

Klick hier um zu kommentieren

Newsletter