Fahrrad Island

Island per Fahrrad, Teil 2

Von Walen, Erdbeben und liebenswürdigen Sturzbombern

Vielleicht hat ja der ein oder andere bereits den ersten Teil meiner Reise gelesen. Falls nicht, hier ist nochmal der Link zum ersten Teil: www.skandinavien.de/durch-islands-einsamen-osten-per-fahrrad

Vom Mývatn nach Akureyri

Die Hauptstraße windet sich wie ein buckliges Seemonster über jeden Hügel, die Strecke erinnert mich stark an die Weiten Kanadas.

Der stete Nordwind degradiert mich zu einer Schnecke, die mit 8-10 km/h durch die Weiten schleicht, um die kleine Stadt Húsavík zu erreichen. Am nächsten Tag zeigt das Thermometer fast 20 Grad Celsius, die Bäche glitzern in der Sonne, die Schafe lümmeln faul im Gras und die Farben sind so klar und intensiv, dass viele, die es nicht mit eigenen Augen gesehen haben, nur sagen würden: »Das gibt es doch gar nicht!«. Auf halbem Weg nach Akureyri liegt der Goðafoss (übersetzt: »der Fall der Götter«). Der Sage nach ließen sich hier die letzten heidnischen Wikinger zum Christentum bekehren. Die wenigen Autos verlieren sich auf dem riesigen Parkplatz, und der Busparkplatz ist vollständig leer. 

Für meinen Geschmack fast noch schöner als der Wasserfall, den man von zwei Seiten gut bestaunen kann, ist die tiefe Schlucht. An perfekten Tagen wie diesem, will ich einfach immer und immer weiter, und am Ende des Tages stehen 102 km auf dem Zähler. Zudem fährt man als Radfahrer den Umweg über die alte Straße und nicht durch den neuen Tunnel. Ziemlich kaputt erreiche ich Akureyri erst gegen 22.00 Uhr. Da es im Sommer rund um die Uhr hell ist, kann ich die intensiven Abendstimmungen besonders genießen.

Die grüne Hauptstadt des Nordens

Akureyri ist mit knapp 20.000 Einwohnern die größte Stadt außerhalb von Reykjavík und Umgebung und steht ein wenig im ewigen Wettstreit mit der Hauptstadt, wer denn die »Schönere« sei. Akureyri ist in jedem Fall eine sehr grüne Stadt, Baumalleen säumen die Straßen und kleine Vorgärten lassen ebenso wie der vielfältige, botanische Garten fast vergessen, dass man nur ca. 100 km südlich des Polarkreises ist. Gerade, wer vorher durch die oft baumlosen Regionen im Inneren gereist ist, wird die gemütliche Atmosphäre der kleinen Stadt mit ihrer anheimelnden Fußgängerzone schätzen.

Der 60 km lange Eyjafjörður sorgt nicht nur für das ungewöhnlich milde Klima, sondern ist im Sommer auch Heimat zahlreicher Wale, die man mit ein bisschen Glück von Akureyri und von Dalvík aus gut beobachten kann. Ich habe viel Glück, sehe gleich vier Buckelwale, die sich hier über den Sommer meist von April bis September Fett anfressen, bevor es in den Süden geht. Neben Dalvík und Húsavík hat sich Akureyri zu einem der besten Plätze für Whale-Watching-Trips etabliert.

Die Tröllaskagi Halbinsel

Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich die nächsten 75 km etwas gemogelt habe und ausnahmsweise den Bus wählte. Von diesen 75 km verlaufen ca. 22 km in Tunneln. Einer davon ist sogar einspurig, was bei mir auf dem Fahrrad immer leicht klaustrophobische Panikreaktionen auslöst.

Siglufjörður ist mit seiner bunten Hafenfront und den vielen Cafés und Kneipen einer der lebendigsten Küstenorte. Wer wissen will, warum die Menschen hier siedelten, sollte sich unbedingt das Heringsmuseum anschauen, das schon zum besten Museum Islands gewählt worden ist. Es ist Freitagabend, die Leute strömen zu den Kneipen ins Zentrum – und ich zucke etwas zusammen, als ich sehe, wie einige dicht an dicht gedrängt in der Kneipe stehen und mitsingen …

In dem Gästehaus treffe ich auf nur einen anderen Gast. Es ist ein junger Tscheche, der in Island lebt und sich sehr redselig zeigt. Schnell wird mir beim Zuhören klar, warum er so gesprächig ist. Er arbeitet seit einem Jahr auf einer kleinen abgelegenen Farm im Osten Islands. Seine einzigen Sozialkontakte sind die kleine Familie des Bauern und viele Schafe, Kühe und Pferde. Er erzählt von den langen Wintermonaten, mit Nordlichtern und tagelangen Schneestürmen. Tage, an denen man kaum aus dem Haus kommt und es nur wenige Stunden am Tag etwas dämmrig wird. Als ich ihn frage, wie er die winterliche »heiße« Corona-Phase erlebt habe, grinst er nur und erklärt mir, dass die Menschen außerhalb der wenigen Städte hier schon immer auf Distanz gingen und oft nur ein oder zweimal in der Woche in die Stadt zum Einkaufen fahren würden. Dass allerdings die geliebten Schwimmbäder geschlossen waren, haben wohl viele Isländer beklagt. Der junge Mann entschuldigt sich bei mir für seinen Redefluss und erklärt, dass ich wohl der erste Mensch gewesen sei, mit dem er nach einem halben Jahr außerhalb seines kleinen Universums über sein neues Leben reden konnte! Die Einsamkeit Islands ist sicher nicht für jeden etwas. 

Hinter Siglufjörður wartet ein einspuriger Tunnel mit herunterfahrbarem Tor, der mich ein wenig an einen James-Bond-Film erinnert. Wie das Tor zu einer anderen Welt: Dahinter führt die Straße fast immer am Meer entlang durch eine extrem abwechslungsreiche Landschaft. Die Berge sind nicht weit vom Meer entfernt und oft über 1.000 Meter hoch. Klippen wechseln mit weiten Buchten, Stränden und Wasserfällen. Alle größeren Orte sind an der Ostseite, an der Westseite gibt es keinen größeren Ort. In einem kleinem Abstecher geht es auch zum sehenswerten Bischofssitz von Hólar.

Am Abend erlebe ich in Hofsós ein kleines Erdbeben. Seit Tagen hat es auf der Halbinsel eine Serie Erdstöße gegeben, die hier dadurch entstehen, dass sich etwas vereinfacht ausgedrückt, zwei tektonische Platten auseinanderziehen. Im Zelt fühlen sie sich eher an wie eine leichte Rückenmassage. Als ich einen Isländer aufgeregt anspreche, erwidert der trocken, dass das gar nichts gewesen sei. Bei einem der stärksten Beben hat er beobachtet, wie sich die Wände seines Hauses leicht bewegten, und fügt noch schallend lachend dazu: »Als einziges ist ausgerechnet mein Lieblingsglas kaputtgegangen.« Isländer sehen vieles etwas gelassener als wir Mitteleuropäer und nehmen die Dinge, wie sie kommen! Was bleibt ihnen auch anderes übrig, als immer wieder nach Lösungen zu suchen?

Am übernächsten Tag geht es über ein Hochplateau durch eine dichte Wolkensuppe nach Blönduós. Drei Tage hänge ich dort fest: Der Winter macht einen kurzen »Comeback-Versuch« – im Juli! Es stürmt und schüttet wie aus Eimern, der Campingplatz verwandelt sich dank 100 l Regen an einem Tag in eine Seenplatte, und selbst durch das Dach meiner kleinen Hütte tropft es langsam aber stetig durch. Auch die Isländer staunen, als sie den Neuschnee auf den Bergen sehen. Die nächsten Tage, die mich zu der kleinen Fähre in Stykkishólmur führen, mit nur knapp 2.000 Einwohnern der größte Ort weit und breit, überspringen wir zumindest in dieser Reisebeschreibung.

Das kleine Eiland Flatey

Die Insel im Breiðafjörður kann man nur erreichen, wenn man per Fahrrad oder zu Fuß aus der Fähre aussteigt, die von Stykkishólmur in die Westfjorde fährt. Das Inselchen ist grade mal 2 km lang und ein paar hundert Meter breit. Einst lebten hier, noch bis vor 100 Jahren, bis zu 200 Menschen. Heute sind es ganzjährig noch zwei kleine Parteien, die sich aber wohl nicht besonders leiden können.

Die Nachfahren der einstigen Bewohner kehren im Sommer zurück, erhalten die Häuser und füllen den Ort mit Leben, es gibt sogar ein Hotel mit gutem Restaurant. Die alten Häuser werden gerne genutzt als Kulisse für historische Romanverfilmungen. Neben der Kirche steht in einem kleinem Holzhaus übrigens die erste und kleinste öffentliche Bücherei Islands.

Die Insel ist zudem ein absolutes Mekka für Vogelliebhaber, schon im Dorf macht man schnell Bekanntschaft mit den recht angriffslustigen »Krias« (Küstenseeschwalben), die sich, wenn man ihren Jungen zu nahekommt, als angriffslustige »Sturzbomber« betätigen und gern mal treffsicher was fallen lassen. Und etwas außerhalb beobachte ich auch ein paar Papageitaucher, die man am besten am Abend zu sehen bekommt. Ich habe mein Zelt auf dem einfachen Campingplatz aufgeschlagen und genieße die Aussicht übers Meer und die vielen Inseln. Am nächsten Tag geht es mit der Fähre weiter in die Westfjorde, doch das lesen Sie in der nächsten und letzten Folge …. 

Nützliche Adressen:

Die Seite des Autors, mit vielen Tipps, Bildern und Kalendern: www.reinhard-pantke.de

Über den Autor

NORDIS Redaktion

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