Finnland steht seit Oktober auf der Liste der weltweiten Top‑Reiseziele 2026 des Lonely Planet – ein Land, dessen weite Wälder und klare Seen beim ersten Blick ein Gefühl von Wildnis und Einsamkeit wachrufen, sich beim zweiten Blick jedoch als lebendiger Mix aus Natur, Kultur und urbaner Energie entpuppen. Zwischen schattigen Birkenwäldern, rauchigen Saunastunden und stylishen Stadthotels eröffnet sich ein Kontrast, der jene reizt, die Finnland zum ersten Mal betreten. Doch auf der Landkarte fällt auch die fast 1.400 Kilometer lange Grenze zu Russland ins Auge – ein Fakt, der in deutschen Medien oft Debatten über europäische Sicherheit in der gesamt-geopolitischen Lage auslöst.
Wie solche Unsicherheiten mit echten Eindrücken zusammenpassen – und wie Finnland sich selbst als Reiseland sieht – erläutert uns Jyrki Oksanen, Head of Visit Finland (DACH & Benelux), der als Finne und Tourismusexperte die Balance zwischen dem Bild wildromantischer Natur und dem Alltag von Reisenden kennt.
Das Interview führte Christine Birkel-Ryynänen für Nordis.
© Titelbild: Harri Tarvainen/ Visit Finland
1. Finnland ist im Oktober 2025 von Lonely Planet als Top-Reiseziel für 2026 empfohlen worden. Was macht das Land gerade für Menschen, die zum ersten Mal hierherkommen besonders spannend?
„Finnland ist – obwohl es seit Jahrzehnten und Jahrhunderten eng mit Deutschland wirtschaftlich verbunden ist und die nordischen Länder in Deutschland generell sehr beliebt sind – immer noch ein wenig unbekannt und fast schon exotisch. Die Sprache spielt da sicher eine Rolle, genauso wie die Lage weit oben im Norden, an der Ostsee. Was viele aber sofort packt, ist die Natur und die Ruhe. Ein großes Land mit wenigen Menschen: Man spürt, dass hier Platz ist. Selbst in den Städten herrscht eine besondere Gelassenheit. Diese Mischung aus Weite in der Natur, urbanem Leben und freundlichen Menschen macht Finnland so einzigartig.“
2. Bei den ersten Reisevorbereitungen und einem Blick auf den Globus fällt sofort die lange Grenze zu Russland auf. Viele denken dabei vielleicht zuerst an Sicherheitsfragen. Wie würdest Du deshalb die allgemeine Sicherheitslage in Finnland einschätzen?
„Für mich persönlich ist es sehr traurig, dass wir in Europa wieder geopolitische Spannungen und Krieg erleben. Die Grenzen nach Russland sind geschlossen, aber die Nähe zu unseren östlichen Nachbarn führt hier nicht zu einer spürbaren Bedrohung im Alltag. Finnland gehört auf vielen Ebenen zu den sichersten Ländern Europas – im Großen wie im Kleinen: sei es in Bezug auf Infrastruktur, Lebensmittelsicherheit oder die allgemeine Ordnung. Besucher können sich frei bewegen, ohne ein ungutes Gefühl haben zu müssen.“
3. Dennoch wappnet sich Finnland. Das merkt man auch an Meldungen wie über den Ausstieg aus dem internationalen Landminenabkommen, was mit der Befestigung der Grenzlinie zusammenhängt. Sind touristische Ziele in Grenznähe davon betroffen?
Es gibt keine Regionen, in denen Touristen Sicherheitsrisiken befürchten müssten, auch nicht beim Besuch der grenznahen Orte. Das hat auch der Pressesprecher der finnischen Botschaft in Berlin bestätigt: Finnland kennt die Mentalität Russlands sehr gut und bereitet sich dementsprechend seit Jahrzehnten vor und kann damit sehr gut leben: Eine hohe Abdeckung mit Luftschutzbunkern oder zuletzt der Beitritt zur NATO sind eben solche Maßnahmen, die zusätzlich zur Sicherheit beitragen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man durch eine russische Aggression zu Schaden kommt, ist ja nicht existent. Aber ich verstehe diese durchaus wichtigen Gedanken schon, und ich will das nicht herunterspielen. “
4. Stichwort Lebensmittelsicherheit: Für Reisende mit Unverträglichkeiten oder speziellen Ernährungswünschen kann das Essen unterwegs oft zur Herausforderung werden. Wie gut ist Finnland auf solche Bedürfnisse eingestellt?
In Finnland werden Lebensmittel generell nach den höchsten Standards produziert. Das Angebot an Bioprodukten ist groß, und vegetarische sowie vegane Optionen sind flächendeckend verfügbar. Besonders Menschen mit Zöliakie oder Laktoseintoleranz finden überall passende Angebote – in Hotels und Unterkünften genauso wie in Supermärkten. Die Finnen sind sehr gut auf Allergien eingestellt, so dass sich jeder sicher und sorgenfrei ernähren kann.
5. Wer das Land zum ersten Mal besucht, wird überrascht sein, wie einfach es ist, sich frei zu bewegen, die Natur zu genießen und gleichzeitig ein Gefühl von Sicherheit und Offenheit zu erleben. Gibt es Unterschiede, zum Beispiel für Frauen, die allein reisen, oder für LGBTQ+ Reisende?
„Als Reiseland war Finnland lange Zeit in Top 3 der sichersten Reiseländer der Welt. Die Infrastruktur ist gut und sicher, genauso wie die öffentliche Sicherheit: Auch in den großen Städten fühlen sich Reisende sehr unbeschwert und sicher, auch nachts. Unterwegs im Land ist es ebenfalls unproblematisch, da öffentliche Verkehrsmittel zuverlässig und sicher sind. In der Natur gelten die üblichen Vorsichtsmaßnahmen, aber es gibt kaum gefährliche Situationen. Alleinreisende Frauen oder LGBTQ+ Personen berichten, dass sie sich hier problemlos bewegen können, was Finnland für diverse Reisende besonders zugänglich macht.“
6. Besucherinnen, diverse Personen oder LGBTQ+‑Menschen fühlen sich in Finnland selten unwohl oder kommen selten in unangenehme Situationen. Woran liegt das?
„Die öffentliche Sicherheit hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm verbessert: In den 80er- und 90er-Jahren konnte es durchaus passieren, dass man von Betrunkenen angepöbelt wurde. Heute sind solche Situationen fast völlig verschwunden. Auch Obdachlosigkeit spielt hier kaum eine Rolle: Die finnische Politik sorgt gezielt dafür, dass Menschen Wohnungen bekommen – gerade wegen des harten Klimas ist das überlebenswichtig. Für Besucherinnen und Menschen, die sich vielleicht unsicher fühlen könnten, heißt das: Finnland ist ein Land, in dem man sich frei bewegen kann, ohne ständige Sorge um die eigene Sicherheit.“
7. Was überrascht Erstbesucher am meisten, wenn sie nach Finnland kommen – positiv oder vielleicht auch unerwartet?
„Viele Besucher sind überrascht, wie ruhig und entspannt das Land wirkt, selbst in den Städten. Die Stille in der Natur, die klaren Seen und der Schnee im Winter hinterlassen einen starken Eindruck. Gleichzeitig überrascht die Offenheit der Menschen: Man wird freundlich behandelt, und es gibt viel Raum für Selbstentfaltung.
Tatsächlich ist Finnland auch gar nicht so teuer, wie es immer angenommen wird: Viele sind erstaunt, wie günstig eine Ferienwohnung oder Blockhütte zum Mieten ist. Das ist auch eine Empfehlung für diejenigen, die sehr individuell reisen wollen. Mein Tipp: Wer Finnland zum ersten Mal besucht, könnte mit Helsinki anfangen, denn das Ateneum – unser Nationalmuseum – hat nach Renovierung wieder geöffnet. Ein guter Einstieg, um sich einen Überblick zu verschaffen. Und dann haben wir 19 Provinzen, die mit ihrer ganz eigenen lokalen Kultur etwas bieten können. Also viel zu entdecken. Und nebenbei lässt sich die Ruhe der Natur und die Gelassenheit gepaart mit viel Freiraum für sich selbst kombinieren.“
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