Titelbild: Wie heißt wohl dieser Pilz?
Das Hasenohr ist auch ein essbarer Pilz.
Von Trompetenpfifferlingen und Wiesel-Täublingen
Text & Fotos: Hans Klüche
Die dänische Ostseeinsel Bornholm definiert sich gern als Gourmet-Insel und legt viel Wert auf regionale Küche als Teil der kulturellen Eigenständigkeit. Kulinarische Qualitätsprodukte finden weit über die Inselgrenzen hinaus Freunde – und im Spätsommer jubeln Pilzsammler. Nordis-Autor Hans Klüche jubelte unter fachkundiger Anleitung mit.
Ich gestehe: Wenn ich allein auf Pilzsuche gehen würde, wäre mein letztes Stündlein nah. Anders gesagt: Ich esse Pilze gern, habe aber keine Ahnung, die guten von den schlechten oder gar tödlichen zu unterscheiden, allenfalls Pfifferling von Fliegenpilz. Um tödliche Fehlgriffe zu vermeiden, treffe ich zum Pilzesammeln auf Bornholm Armin Mangold. Flechten und Pilze sind für den promovierten Biologen Spezialgebiet wie Leidenschaft gleichermaßen. Der gebürtige Deutsche hat nach Jahren der Suche auf verschiedenen Kontinenten mit Bornholm sein Paradies gefunden und sich schnell einen Namen auf der Insel gemacht. Er berät Gourmetköche, die sich dem angesagten Konzept des Nordic Cooking verschrieben haben. Armins Pilzkenntnisse und dieses kulinarische Dogma mit dem Bekenntnis, den Jahreszeiten folgend lokale Rohwaren zu verarbeiten, passen perfekt zusammen.
Rø Plantage – idyllisches zum Wandern ideal zum Pilzesammeln
Armin erwartet mich und eine kleine Gruppe weiterer Pilz-Laien am Ufer des Mini-Stausees neben dem Sigtevej in der Rø Plantage nahe Gudhjem. Der schmale See in einem der für Bornholm so typischen Spaltentäler entstand in den 1960ern aus einer Notlage: Nach einem verheerenden Sturm wurde er als Feucht-Lager für große Mengen entwurzelter und umgeknickter Stämme aufgestaut – heute ein idyllischer Startplatz für die Tour in den Staatsforst mit seinen Fichten, Kiefern, Lärchen und eben Pilzen. Armin kennt ihn als ideales Revier: Viele Arten, viele Exemplare, beste Qualität und vor allem darf man in öffentlichen Wäldern wie diesem für den Eigenbedarf sammeln.
Genießbarer Stäubling
Kenner finden fast das ganze Jahr hindurch Pilze auf Bornholm, aber im Spätsommer und Herbst ist Boomzeit. Passt die Mischung aus Feuchtigkeit und Wärme, gibt’s schon im späten Juli Unmengen an Pfifferlingen – und dann warten alle gespannt auf den Steinpilz, für Skandinavier den »Karl Johan«. Ein schwedischer König dieses Namens machte ihn seinem Volk Anfang des 19. Jahrhunderts als gesunde Nahrung schmackhaft – vorher wurden Pilze im Norden schlicht und einfach als gefährlich gemieden. Auf Bornholm gedeiht der Steinpilz besonders prächtig – Pilz-Fans schwärmen von »Karl Johan Festwochen« auf der Insel.
Mohrenkopf
Schon nach wenigen Schritten von der kleinen Forststraße in den Wald hinein stehen an einer zerfurchten alten Fahrspur erste Pfifferlinge, verschiedene Täublinge und ein Le Meunier, ein Mehlräsling. Zu dem sollten nur echte Kenner greifen, zu leicht verwechselt man ihn mit dem giftigen Trichterling. Andererseits ist der Le Meunier ein treuer Steinpilz-Begleiter, und in der Tat müssen wir nur kurz die Blicke über den Waldboden schweifen lassen: Da stehen weiter hinten im unwegsamen Gelände dicke, braune Steinpilze – die erhofften Karl Johan Festspiele sind eingeläutet.
Steinpilz
Dutzende, einer größer als der andere, sammeln sich binnen Minuten in den Taschen, die Armin mitgebracht hat. Neben Steinpilzen halten wir ihm auch etliche Maronen zur Begutachtung hin –Pilz-Novizen können beide Arten kaum auseinander halten. Eigentlich wäre das kein Problem, aber Armin hatte uns schon vor dieser Art gewarnt, denn dort, wo vor über drei Jahrzehnten die radioaktive Wolke aus Tschernobyl übers Land zog, soll man sie bis heute meiden – und die Wolke zog anfangs nordwärts, Schweden schlug zuerst Alarm. Eine Kapriole der Natur lässt Maronen wie keinen anderen Pilz Cäsium aufnehmen und speichern – da strahlt der Pilzsammler nicht nur wegen seines Sammlerglücks! Ein oder zwei Maronengerichte im Jahr gelten nicht als gefährlich, aber von mehr raten nordische Gesundheitsbehörden ab.
Ungeliebte Marone
Doch auch ohne Maronen finden wir Vielfalt: Weit mehr als ein Dutzend essbare Sorten kommen in die Sammeltaschen und -boxen: Apfeltäubling und Goldröhrling, Hasenöhrling und Ziegenlippe, Brauner Stäubling, Trompetenpfifferling und Wiesel-Täubling. Letzterer ist eine Bornholmer Spezialität und sonst in der norddeutsch-dänischen Pilzwelt kaum bekannt. Er liebt hartes Urgestein unter sich, und da ist er im Bornholmer Norden genau richtig. Die geologisch abwechslungsreiche Ostseeinsel ist im Vergleich zum Rest Dänemarks etwas Besonderes: Der Nordteil ist im Untergrund eher skandinavisch robust, während der Süden, ähnlich dem Rest Dänemarks, auf Sand und Sedimenten steht – Jahrmillionen alter Gneis und Granit treffen auf ein paar zehntausend Jahre alten Sandstein und Lehm.
Vor dem Kocher das Sortieren
Vielfalt: von Frauentäubling bis Pfifferling
Für die selteneren, kleinen Pilzarten hat Armin gebrauchte Eierkästen zur Hand, in denen er sie gleich vorsortiert: Die würzigen für die Suppe und die Nudelsoßen, die nussigen für das Dessert und die wenigen Mohrenköpfchen – politisch korrekter: Schornsteinfeger – als Deko-Pilze. Am Ende unserer Sammelaktion soll ein üppiges Menü aus diversen Pilzgängen stehen. Wir Sammler kochen und brutzeln von Armin dirigiert aus unseren Funden von der Vorspeise bis zum Dessert ein mehrgängiges Gourmet-Menü: Pilzsuppe, Steinpilzschnittchen, Bornholmer Pasta-Variationen mit Pilz-Pesto, karamellisierte Waldpilze und Judasohren auf Lakritzsud. Alles schmeckt um so besser mit dem Wissen, dass dieses Menü vom Sammeln bis zum Servieren selbst gemacht ist – Nordic Cooking als Selbsterfahrung. Da stört auch nicht, dass Armin als Digestiv ein Chaga-Schnäpschen anbietet, das er lange vorher mit Schiefer Schillerporling aufgesetzt hat. Der wächst an Birkenstämmen, und Laien fragen sich bei seinem Anblick, warum da ein Klumpen Holzkohle am Baum klebt. Armin preist ihn dank Mineralien- und Vitaminmix als einen der gesündesten Pilze überhaupt – geschmacklich ist er eher ungenießbar und kann nur als Magenbitter oder herber Tee seine gesundheitlichen Stärken ausspielen.
Vorspeise, Dessert und Digestiv beim Pilzdinner:
Geschmorte Steinpilze mit Bornholmer Äpfeln zum Pilzsüppchen …
… und karamellisiertes Pilzpotpourri …
… und am Ende ein Chaga-Schnäpschen vom Schiefer Schillerporling.
Unsere Pilze veredeln wir an professionellen Herden und Backöfen im lichtdurchfluteten »Gaarden – Center for Bornholmsk Madkultur«, das zusammen mit dem bäuerlichen Freilichtmuseum Melstedgård am Südrand des hygge- wie hügeligen Städtchens Gudhjem eine Einheit bildet. Während der malerische Museumshof ländliches Leben vergangener Tage zeigt, will das hochmoderne, kulinarische Kulturhaus Bornholms regionale Küche als Kulturgut bewahren, pflegen und vermitteln. Außerdem unterstreicht es mit viel Engagement Bornholms Anspruch auf einen Platz in der ersten Reihe der Gourmet Regionen Europas ‒ ein dänisches Pendant zu Frankreichs Provence. Wer sich auf dem Gelände und in den Gebäuden umschaut, entdeckt einen Garten mit heimischen Früchten, Gemüsen und Kräutern, eine Wiese, auf der alle auf Bornholm bekannten Apfelsorten wachsen und nicht weniger als 15 Sorten Rhabarber. Und dann ist da noch in einer ehemaligen Scheune Skafferiet, ein Shop voller Inselspezialitäten. So viel Auswahl lokaler Rohwaren und Leckereien – das meiste aus Bio-Anbau – bietet sonst nur noch Torvehal Bornholm, der Indoor-Markt mit kleinem Café in den alten Schlachthöfen von Rønne.
Stern mit Aussicht: Kadeau Bornholm ist das Flaggschiff der Bornholmer Gourmetszene.
Natürlich ist man auf Bornholm stolz, dass mit dem Kadeau seit 2016 ein Inselrestaurant einen Michelin-Stern trägt. Mit ein wenig Zwinkern in den Augen hat es sogar drei Sterne, denn die Dependance Kadeau Copenhagen*, die verwöhnten Hauptstädtern Bornholmer Küche und Produkte auftischt, hat zwei weitere. Der Ruhm des Kadeau strahlt natürlich auf das ganze Gourmetangebot der Insel ab – für eine Insel mit knapp 40.000 festen Einwohnern bietet Bornholm eine außergewöhnlich Dichte kulinarischer Erlebnisse von den Restaurants im Hotel Fredensborg am Rande der Inselhauptstadt Rønne mit seinem geradezu legendären Fischbüffet, im Badehotel Stammershalle an der malerischen Felsenküste zwischen Allinge und Gudhjem und im Hotel Nordlandet direkt am Meer im äußersten Norden der Insel bis hin zum kulinarisch ambitionierten Dreigestirn der Restaurants Det Røde Pakhus in Rønne, dem im Almindinger Forst versteckten Christianshøjkroen und Molen* am Hafen von Nexø. Diese Liste kulinarischer Oberklasse lässt sich leicht fortsetzen, aber man darf die traditionelle Inseldelikatesse natürlich nicht übersehen, die man in den meisten Hafenorten noch direkt aus dem Räucherofen serviert bekommt: Geräucherter Hering ist in ganz Dänemark als »Bornholmer« ein Begriff. Wird er mit Schnittlauch und rohem Eigelb serviert, ist er ein absoluter Klassiker: Sonne über Gudhjem. Den Namen – Dänisch: »Sol over Gudhjem« – hat auch jener kulinarischer Wettstreit aufgegriffen, zu dem Dänemarks beste Köche jedes Jahr Ende Juni am Hafen von Gudhjem zusammenkommen, um das »Gourmet Bornholm« zu zelebrieren.
Bornholms Gourmet-Klassiker kommt aus den Räucheröfen der Hafenorte wie hier in Svaneke
* Lokale und Attraktionen, die bei Fertigstellung dieses Artikels aufgrund von Corona-Folgen zeitweise geschlossen haben.
Bornholms Velkomstcenter weiß alles zu Attraktionen und Ausflügen.
Infos
www.bornholm.info/de
Bornholms Velkomstcenter, Ndr. Kystvej 3, 3700 Rønne (nahe Fährhafen Rønne).
Tel. +45 56 95 95 00
ANREISE
Flug: DAT
Täglich von vielen Airports in deutschsprachigen Ländern in Kooperation mit SAS via Kopenhagen. Ab dort bis 8 x tgl. in ca. 35 Min. nach Bornholm (Flughafen am südlichen Ortsrand Rønne). Günstig gelegene Saisonroute bis 18. Okt. 2–7 x wö. ab Billund (BLL, 65 Min. Flugzeit, Flughafen ca. 280 km ab Hamburg). Sondertarife für DAT Reisende bei Europcar Autovermietung.
Schiff: Bornholmslinjen
Sassnitz-Mukran (Rügen) – Rønne min. 1 x wö., Hochsaison 1-2 x tgl., 3 Std. 20 Min; Køge (südlich von Kopenhagen) – Rønne (hin Nacht-, zurück Abendfahrt) 1 x tgl., 5 Std. 30 Min.; Ystad (Südschweden) – Rønne mit Katamaran-Schnellfähre 4–10 x tgl., 80 Min.
ÜBERNACHTEN
Bornholmtours
Lokales Reisebüro mit Zugriff auf rund 650 Ferienhäuser, Apartments in 7 Ferienparks und Zimmer in den meisten Inselhotels und -pensionen.
Dansk.de / Ferienhausvermittlung Kröger+Rehn
Ferienhausportal eines Hamburger Reisebüros mit fast 50 Jahren Dänemark-Erfahrung und Zugriff auf inselweit über 1.500 Ferienhäuser und -apartments (saisonabhängig) verschiedener Vermieter.
Wohnen auf Bornholm von stylisch bis idyllisch
Ob das noch in den Hut passt? Zum Glück gilt die alte Regel nicht mehr, und zu viel für eine Plastiktüte hat dieser Sammler noch nicht in der Hand.
Wo darf ich Pilze sammeln und wie viele?
In staatlichen Wäldern oder Forsten ist der Zutritt frei und man darf, solange es nicht ausdrücklich durch Schilder verboten ist, von den Wegen in den Wald hineingehen, um Pilze oder Beeren zu sammeln. In privaten Wäldern ist dies andersherum: Dort darf man in der Regel markierte Wege und Pfade nicht verlassen, und wer ernsthaft Pilze oder auch Beeren sammeln will, müsste das. Nach altem dänischen Recht durfte man in öffentlichen Wäldern so viele Pilze sammeln, wie in einen Hut passte, inzwischen gilt eine normal große Einkaufstüte als Maß. Da sollte man aber eine luftige Stoff- oder Papiertüte nehmen, Plastik schadet den Pilzen. Wichtig ist vor allem: Mengen, die den Eindruck machen, es würde kommerziell gesammelt, sind tabu. Da kann es sogar Konfiszierungen und Bußgelder geben – »maßvoll« sollte die Devise sein.
© Hans Klüche 2020. Dieser Beitrag ist die aktualisierte Version eines Artikels, der schon in der Printausgabe von Nordis – Das Nordeuropa-Magazin publiziert wurde.
Nordis-Autor Hans Klüche beim Kochen in Bornholms »Madkulturhus«
Für Pilze empfehle ich Almindingen Wald und Paradisbakkerne https://visitbornholm.com/de/sehenswuerdigkeiten/beliebt/almindingen