Norwegen Outdoor

Was findet man auf der größten Hochebene Europas?

Eine Wanderung durch den Hardangervidda-Nationalpark

Bilder © Benita Stelz

Mit gerunzelter Stirn schauen wir auf die Landkarte in unseren Händen. Wir können den Wanderweg nicht wiederfinden. Mit unseren dicken Rucksäcken stehen wir auf einer kargen Bergwiese und schauen uns verzweifelt um, doch der Trampelpfad ist weg. Nora versucht die Formen der Seen und Berge vor uns mit denen auf der Karte zu abzugleichen, um herauszufinden, wo wir uns befinden.

Neben uns plätschert ein Gletscherfluss, hinter uns glitzern Schneefelder, und vor uns liegt die baumlose Weite der größten Hochebene Europas.

Wir sind tief in der norwegischen Wildnis gestrandet. Das Hochplateau Hardangervidda liegt im Süden Norwegens und ist Teil des größten Nationalparks des Landes. Nirgendwo sonst wandert man so fernab jeglicher Zivilisation. Menschliche Hilfe ist sehr weit weg. Die Seen und Berge sind die einzigen Orientierungspunkte, die uns bleiben. Zum Glück ist die Sicht gut, denn auf 1100 Höhenmetern findet man kaum größere Gewächse als Gräser, die einem die Sicht versperren könnten. Der Wind pfeift über Bergseen und Moore hinweg. Durch die letzten Eiszeiten haben die Berge ihre Spitzen und Kanten verloren, die Gegend ist übersäht mit Geröll.

Der Harteigen

Irgendwann geben wir das Lesen unserer Papierkarte auf. Vorerst werden wir wohl ohne Weg klarkommen müssen. Wir beschließen uns ab jetzt an dem Berg Harteigen zu orientieren, an dem müssen wir auf jeden Fall vorbei.

Er wird auch als „König der Hardangervidda“ bezeichnet und gilt als Wahrzeichen des Nationalparks. Der Name des Tafelbergs bedeutet übersetzt ‚grauer Wegweiser‘, denn man kann seine steile Granitsilhouette schon von sehr weit weg gut erkennen.

Für uns kommt das jetzt sehr gelegen.

Wandern in Norwegens größtem Nationalpark

Eilig laufen wir weiter in Richtung des Berges, denn unsere Zeit ist knapp bemessen. Unsere Wanderung ist insgesamt ungefähr 110 Kilometer lang und wir sind erst bei der Hälfte.

Vor drei Tagen ging es mit dem Bus fünf Stunden von Oslo in das drei Häuser Dorf Haukeliseter. Von dort wollten wir in sechs Tagen zum Meer wandern. Wie viele Höhenmeter wir besteigen müssen, wussten wir allerdings nicht. Was wir sicher wussten, ist, dass wir Essen für eine Woche dabeihaben und das reichen muss.

In drei Tagen müssen wir in Kinsarvik, dem Dorf am Meer sein, dem Ende der Wanderung. Die täglichen Essensrationen sind genau abgewogen, alles, was wir zu viel mitnehmen würden, ist unnötiges Gewicht auf unseren Rücken.

Kaum Bäume, dafür viele Flüsse, Moore und Schneefelder

Der Weg zum Harteigen gestaltet sich schwierig. Zwischen uns und dem Berg klafft eine Schlucht, in deren Tiefe ein Gletscherfluss sich seinen Weg bahnt. Wir laufen entlang des Abgrunds, bis der Berg abfällt. Doch am Ende der Schlucht ergießt sich der Fluss in einen türkisen See, zu groß und tief, um ihn zu überqueren. In der Ferne kann man sehen, dass der See wieder zwischen zwei großen Felsmassiven verschwindet. Wir wollen uns gerade auf den Weg machen, auch diesen Fels zu überwinden, als uns eine Stelle kurz vorm Ende des Sees auffällt. Das Wasser ist hier noch mal besonders breit, bevor es sich wieder zu einem Fluss zusammenfindet. Weil das Wasser sich jedoch auf die Breite verteilt, ist es auch sehr flach, an vielen Stellen schauen sogar Trittsteine heraus. Wir beschließen, unser Glück an dieser Stelle zu versuchen.

Am Ende sind unsere Schuhe zwar mal wieder durchnässt, aber wir haben es geschafft.

Jetzt ist es nicht mehr weit, und in den frühen Nachmittagsstunden erreichen wir die ersten Geröllfelder am Fuße des Harteigens.

Plötzlich bleibt Nora stehen und deutet auf eine Art muldenartige Verfärbung auf dem nächsten Hügel. Wir laufen hin und können endlich wieder eine der roten Wegmarkierungen finden. Es hat länger gedauert als gedacht, aber wir sind wieder auf dem richtigen Weg.

An diesem Tag schlafen wir direkt am Fuß des Tafelbergs Harteigen. Die steilen Granitwände wirken bedrohlich, inmitten der sonst eher flachen Hochebene sieht dieser einsame Berg fast surreal aus.

Bild 3: Das Zelt vor dem Berg Harteigen

Nachts kuscheln wir uns aneinander, während der Wind durch unser Zelt pfeift. Was definitiv kein unnötiges Gewicht in unserem Rucksack ist, sind die dicken Daunenjacken. Wir ziehen sie nachts auch in unseren Schlafsäcken über. Die Eiszeit ist zwar lange vorbei, aber kalt ist es auf der Hochebene immer noch. Selbst im Juli fallen die Temperaturen nachts auf null Grad.

Dabei war es hier längst nicht immer so kalt und windig. Vor vielen Jahrtausenden war die Hochebene bewaldet, das Klima war milder. Wenn ich jetzt aus dem Zelteingang luge und über die Weite schaue, kann man sich das nicht mehr vorstellen. Dabei ist es durchaus möglich, dass der Wald und das milde Klima schon sehr bald zurückkommen, nämlich durch den Klimawandel.

Doch das ist noch Zukunftsmusik. Im Moment ist es auch tagsüber ziemlich kalt und es regnet viel. Obwohl wir dick eingepackt sind, wird uns nur in Bewegung richtig warm. Also wandern wir ohne Pausen. Mittags essen wir im Gehen, ich trinke zu wenig, weil das kalte Gletscherwasser in meinem Rachen so brennt. Ich vergrabe meine Hände vor der Kälte in den Jackenärmeln und vermisse meine Mütze. Sobald abends das Zelt steht, kriechen wir in unsere Schlafsäcke. Von dort wird gekocht, das Essen ist warm, aber es hilft nur wenig gegen die Kälte.

Die Hochebene ist von Geröll überzogen, Bäume gibt es keine

In den nächsten Tagen achten wir noch mehr darauf, den Weg nicht zu verlieren. Beim Gehen ist höchste Konzentration gefordert, denn sollte uns etwas passieren, braucht es lange, bis Hilfe kommt. Der Weg ist nichts weiter als ein schmaler Trampelpfad, der sich gelegentlich verliert und nach ein paar Metern erst wieder auftaucht. Wir müssen immer genau schauen, wo wir hintreten. Oft balancieren wir über wacklige Steine, um kleine und große Flüsse so trocken wie möglich zu überqueren.

Im Schlamm der Moore, durch die wir waten, finden wir zuweilen die unterschiedlichsten Tierspuren. Im Harddangervidda leben die größten Bergrentierherden der Welt. Das kalte Klima lockt aber auch viele andere arktische Tiere und Pflanzen an.

Nur auf dem dünnen Netz an Wanderpfaden können sie gelegentlich auf Menschen treffen. Diese werden samt der Wegpfeiler und Brücken von dem norwegischen Wanderverein TNT instandgehalten. Der baut im Frühling nach der Schneeschmelze provisorische Brücken über die unüberwindbaren Flüsse für die Wanderer und sammelt sie im Herbst mit einem Helikoptern wieder ein, bevor der große Schnee kommt.

Das Ende

Nora und ich werden drei Tage später die letzte dieser Bergbrücken überqueren, bevor wir beginnen die vielen Höhenmeter ins Tal hinabsteigen nach Kinsarvik. Erst werden die Sträucher mehr, dann kommen die ersten zaghaften Bäume, bis wir schließlich wieder in einem dichten Wald wandern. Es kommen uns wieder mehr Menschen entgegen, ein Zeichen, dass wir in der Nähe des Dorfes sind. Und dann, es ist schon Nachmittag, stehen wir zwischen Häusern am Ufer des norwegischen Hardangerfjords, einer der vielen Arme des Meers, die in das norwegische Festland hineinreichen.

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Über den Autor

Benita Stelz

Benita reist gerne durch die Weltgeschichte, egal ob zu Fuß mit Rucksack, oder auf dem Fahrrad mit Packtaschen. Diese Reisen führten sie auch schon häufig nach Skandinavien.
Für ein paar Semester studierte sie Skandinavistik, bevor sie sich ganz der Ethnologie verschrieb. Nebenher arbeitet sie beim Uniradio und der Unizeitung mit, um sich bald hauptberuflich dem Schreiben widmen zu können.
Sie redet viel über die Ideen der Ethnologie und wie wir andere ‚Kulturen‘ wahrnehmen, feministisches Reisen, das Leben im Zelt und wartet immer darauf, die nächste Reise antreten zu können.

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