Dänemark Entdeckungen

Wir Babyboomer sind in Dänemark schon museumsreif

Eine Überraschung beim Besuch des Freilichtmuseums in Aarhus


Es war einmal vor langer, langer Zeit….. So beginnen viele Märchen und auch die Beschreibung für Freilichtmuseen könnte so beginnen, schließlich geht es um die Darstellung des Lebens in früheren Jahrhunderten, der so genannten ‚guten alten Zeit‘, die meist aber gar nicht so gut war, wenn man an die deutlich kürzere Lebenserwartung, den fehlenden Komfort und die deutlich härtere Arbeit denkt.

Freilichtmuseen gibt es nicht wenige, auch in Skandinavien. Meist wird das ländliche Leben in vergangenen Jahrhunderten gezeigt. Das Museum in Aarhus ist eine der wenigen Ausnahmen, hier wird das städtische Leben dargestellt.

Viele Häuser aus dem 17.-, 18.- und 19. Jahrhundert wurden irgendwo in Dänemark demontiert und hier neu aufgebaut. Man kann sich problemlos in die vergangenen Jahrhunderte zurückversetzt fühlen, zumal in der Sommersaison das Gelände von zeitgenössisch gekleideten Mitarbeitern des Museums bevölkert wird und in fast allen Werkstätten die damaligen Handwerkstechniken vorgeführt werden.

Es war einmal vor gar nicht so langer Zeit…..

….Deutschland ist zum zweiten Mal Fußballweltmeister geworden und die erste Energiekrise mit massiven Preissteigerungen und Sonntagsfahrverboten gerade überstanden. Genauer gesagt geht es um das Jahr 1974, also eine Zeit, die die Babyboomer in ihrer Kindheit oder Pubertät live und in Farbe erlebt haben.

Ein Teil des Museums besteht aus einigen Mehrfamilienhäusern aus der Zeit um 1900, schon das ist für ein Freilichtmuseum eher ungewöhnlich. Völlig überrascht waren wir aber, dass in diesem kleinen Stadtviertel das Leben im Jahr 1974 dargestellt wird. Sämtliche Gewerbeeinheiten und Wohnungen sind zeitgenössisch eingerichtet. Für viele Besucher und auch für uns kommen da Erinnerungen an die eigenen Kinder- und Jugendtage hervor. Nicht wenige Kinder und Jugendliche mussten sich nach unserem Eindruck von ihren Eltern einige Geschichten dazu aus deren Leben anhören.

Eine komplett eingerichtete Motorrad- und Mofawerkstatt wartet mit Kreidler Florett und mehreren Velosolex (quasi die Vorgänger heutiger E-Bikes, die Jüngeren mögen einfach mal googeln) auf, man wäre am liebsten gleich mit einem der perfekt restaurierten Teile losgebraust. Vor einem Haus steht ein Käfer und auch sonst passte schon auf den ersten Eindruck alles. Eine Leihbibliothek, ein Radio- und Fernsehgeschäft und einige andere Gewerbe vervollständigen das Bild, ebenso eine Arztpraxis.

Richtig überzeugend sind aber die Wohnungen, die für die unterschiedlichsten Bewohner und damit in den verschiedensten Stilen eingerichtet sind, immer aber dem Jahr 1974 entsprechend.

Augenkrebs verursachende Tapeten

In den wildesten psychedelischen Mustern und mit den in den 1970er Jahren üblichen Farben braun, orange und gelb tapezierte Wände lassen Augenkrebs befürchten. Auch wenn die Nostalgiewelle hochschwappt und viele Gegenstände aus den 1950er- bis 1970er Jahren heute Höchstpreise erzielen, solche Tapeten wird sich heute wohl kaum jemand mehr an die Wände kleben.

Eine der Wohnungen ist für eine alleinerziehende Mutter mit ihrem pubertierenden Sohn eingerichtet. Nicht fehlen darf im Jugendzimmer natürlich der Starschnitt aus der dänischen Ausgabe der ‚Bravo‘, wenn ich mich recht erinnere war das in diesem Fall Gary Glitter. Selbst die Wohnung einer aus der Türkei stammenden Gastarbeiterfamilie wurde nicht vergessen.

Elektrische Schreibmaschinen, schnurgebundene Telefone mit Wählscheibe und Röhrenfernseher finden sich hier ebenso wie eine Vitrine mit Sammeltassen in der Wohnung einer älteren Witwe. Alles Dinge, die die Älteren unter uns noch kennen. Der technische Fortschritt in den letzten knapp 50 Jahren ist schon erstaunlich.

Mein persönliches Highlight aller Wohnungen ist die der Studenten-WG. Jedes der Zimmer höchst individuell eingerichtet, im gemeinsamen Wohnzimmer darf natürlich der damals absolut unentbehrliche Pfauenthron nicht fehlen und in den einzelnen Zimmern kann man wunderbar die völlig unterschiedlichen Lebensstile nachvollziehen – von total chaotisch bis hin zu ziemlich spießig. Im Badezimmer wird von hinten an den Duschvorhang ein poppendes Pärchen projiziert, inklusive der entsprechenden Geräuschkulisse. Einzig und alleine der Geruch eines Joints fehlt noch in dieser WG, aber das wäre dann wahrscheinlich doch zuviel des Guten.

Die Museumsmacher hatten ganz offensichtlich ihren Spaß

Man merkt in jeder Wohnung und in jedem Zimmer, dass die Museumsmacher bei der Konzeption und der konkreten Ausgestaltung ihren Spaß gehabt haben müssen, das überträgt sich auch auf die Besucher. Wir haben im Jahr 1974 gefühlt mindestens drei Mal soviel Zeit verbracht wie in den anderen Jahrhunderten zusammen.

Als immerhin zweitgrößte Stadt Dänemarks bietet Aarhus natürlich jede Menge Shoppingmöglichkeiten (dänisches Design!) und eine Vielzahl weiterer Sehenswürdigkeiten. Ob auf den Flohmärkten der Stadt allerdings noch allzu viel aus den 1970er-Jahren zu finden ist, wage ich zu bezweifeln, die Museumsmacher dürften kaum etwas übrig gelassen haben.

Für Kunstinteressierte besonders lohnenswert ist das ARoS Aarhus Kunstmuseum, mit seiner spektakulären Architektur das passende Gegenstück zum Freilichtmuseum.


Nützliche Infos

Allgemeine touristische Informationen:

www.visitaarhus.de

Webseite des Museums:

www.dengamleby.dk/en

Anfahrt:

Aarhus ist über die Autobahn E 45 bequem zu erreichen, das Museum (Den Gamle By) ist ab allen Abfahrten gut ausgeschildert.

Übernachtung:

Als zweitgrößte Stadt Dänemarks bietet Aarhus natürlich genügend Unterkunftsmöglichkeiten aller Kategorien und Preisklassen, mehrere Campingplätze in der näheren Umgebung ergänzen das Angebot.

Reiseführer (subjektive Auswahl):

Dänemark von Dirk Kruse-Etzbach und Ulrich Quack, Iwanowski-Verlag, ISBN 978-3861972181

Reiseführer Dänemark – Ostseeküste und Fünen von Thilo Scheu, Reise Know-How-Verlag, ISBN 978-3831735365


Bilder ©: Bernhard Nentwich

Über den Autor

Bernhard Nentwich

Seit 1980 gelernter Berliner und seit Jahrzehnten bekennender Skandinavienfan hat es ihn inzwischen dutzendfach im Urlaub in den Norden verschlagen. Meist mit Zelt, Wohnwagen oder Wohnmobil, manchmal aber auch in ein Ferienhaus.
Nebenbei hat er seit Jahren in allen drei in Deutschland erscheinenden Kanuzeitschriften eine ganze Reihe an Artikeln zu Paddeltouren veröffentlichen können, viele davon zu Gebieten in Skandinavien. Dazu kommen noch zwei Kanu-Reiseführer, die allerdings zu Gebieten in Deutschland.

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