Entdeckungen Rundreisen

Schaukeln und Schaudern

Crime Cruise mit der Kreuzfahrtfähre Norröna nach Island

Jedes Jahr um den Monatswechsel vom Oktober in den November steht für die Fähre Norröna der färöischen Smyril Line der Wechsel vom eng getakteten Sommerfahrplan auf den ruhigeren Winterfahrplan an. Bei weniger Abfahrten pro Woche gibt es damit zwei mehrstündige Stopps auf den Färöer und zwei ganze Tage im ostisländischen Fjordhafen Seyðisfjörður mit Chancen auf spektakuläre Landausflüge. Jetzt ist die Zeit für einwöchige Themenkreuzfahrten wie die Crime Cruise für Krimifans und Autoren, für Verbrecher und Ermittler, für Kriminelle und Kriminologen, Kriminalreporter und Komplizen und viele Mörderische Schwestern. NORDIS Autor Hans Klüche war dabei als Kriminalreporter und Reisechronist. Diese Onlineversion seiner Erlebnisse gibt ihm die Chance, mehr Tatortbilder der Reise zu zeigen. Einen längeren Bericht wird es auch in der nächsten Ausgabe unseres Magazins „NORDIS – Das ist Skandinavien“ geben.  

Samstag

Das Wetter ist für den vorletzten Oktobertag besser, als ich an der dänischen Nordseeküste erwartet hätte. Grau zwar, aber trocken. Der Wind mäßig. Beruhigend, will ich doch am frühen Nachmittag an Bord der Fähre Norröna in See stechen, weit auf den Nordatlantik hinaus. Ziel Island. Die Crime Cruise 2021 steht auf dem Programm. Da finde ich es passend, den Tag mit einem Besuch jenes Knude zu beginnen, der in der Nähe von Hirtshals vor fast genau zwei Jahren umgelegt wurde. Okay. »Umgelegt« ist vielleicht etwas weit hergeholt, aber es passt so schön zum Thema. Genaugenommen wurde Rubjerg Knude Fyr, Kosename »Knude«, nur ein Stück landeinwärts verschoben, damit er nicht über die Klippen stürzt. Auf jeden Fall ein guter Auftakt, bevor es an Bord geht und ich erste Reisekomplizen treffe.

»Knude« ragt knapp 20 Autominuten vom Fährhafen Hirtshals über höchst unstabilen Steilklippen auf – seit seinem Umzug 2019 ist der schon lange abgeschaltete Leuchtturm Kult.

Sonntag

Aufregung am Morgen! Wann fängt das Frühstück an? Die Zeit steht im Programm, aber was ist die Zeit? Von dem Augenblick an, als wir Samstag an Bord gingen, gilt Bordzeit. Bordzeit gleich Färöer Zeit, eine Stunde hinter der mitteleuropäischen. Aber ausgerechnet in der folgenden Nacht wird die Uhr umgestellt. In welche Richtung nochmal? Dann fahren wir auch noch nach Island. Das hat noch eine andere Zeit, aber verzichtet auf eine Zeitumstellung. Oh My God! Hauptsache der Kapitän weiß, was die Uhr schlägt.

Martin, der Pfannkuchenmann, ist der Diätenkiller beim Frühstück

Als die Morgensonne aus dem Meer kriecht, schwappte noch Regenwasser in Dorfteichgröße über das Deck – die Norröna hat im Laufe der Nacht einiges an Wasser von oben bekommen. Der Tag startete trotzdem freundlich, als wollte er die »Ruhe vor dem Sturm« spielen, der uns später angekündigt wird.

Ein Seetag auf dem Nordatlantik kann auch Ende Oktober sonnig sein beim Sonnenaufgang, beim Bordspaziergang oder beim Plausch unter Autorinnen, wie Sybille Baecker und Carola Christiansen – was für Taten die wohl gerade aushecken? 

Im Kreuzfahrersprech heißt ein Tag wie dieser »Seetag«, obwohl »Sehtag« auch passend wäre, denn bei der Passage der britischen Shetland-Inseln wird es spektakulär dank dem »Muckle Flugga Lighthouse« auf der Nordspitze der Inselgruppe.

Auf der kleinen Crime Cruise Bühne im Undirhúsið, dem für die Crime Cruise Komplizen reservierten Saal, eröffnet Manfred Ertel das Krimifestival. Spiegel-Reporter, Investigativ-Journalist, HSV-Fan und EX-Aufsichtsratsvorsitzender des unruhigen Hamburger Clubs – seine „Lebensakte“ ist lang. Als Aufklärer eng an der Barschel Affäre liest er auf der Norröna aus dem Manuskript seines nächsten Buchs »Die Akte B.«, ein Politthriller über einen umtriebigen Ministerpräsidenten.

Während der Himmel über der Norröna dramatisch mit Licht und Schatten spielt, lädt Barbara van den Speulhof zum Schreibworkshop. Selbst erfolgreich als Autorin von Kinder- und Jugendbüchern sowie als Hörspiel-Produzentin agiert sie auf der Crime Cruise als Creative Writing-Coach – was wir am Ende der Reise von vielleicht zukünftigen Bestseller-Autoren hören, beindruckt.
Dr. Manfred Lukaschewski, Autor, Ballistiker, Mordermittler und promovierter Kriminalist bereitet die Komplizen dann mit optisch ungeschönten Bildern und Fakten aus seinen Fallakten äußerst rustikal auf jenen Tatort vor, an dem auf dieser Reise manches Diätgelöbnis gemeuchelt wird:  „Das große skandinavische Abendbuffet“.

Fallanalytiker Axel Petermann, Mr Cold Case des Deutschen Fernsehens, lieferte auch schon Vorlagen für die Tatort Reihe der ARD

Eins ist natürlich klar: Sonntag ist Tatorttag. Auf der Norröna läuft »Der Tote im Nachtzug« von 2011 mit den Frankfurter Ermittlern Mey und Steier – Nina Kunzendorf und Joachim Król. So wie hier erlebt man den Tatort im eigenen Pantoffelkino aber kaum, oder sitzt da jener Mann mit auf dem Sofa, der im realen, als Vorlage des Films dienenden Fall ermittelte und darüber geschrieben hat: Axel Petermann, der niemals lächelnde Mr Cold Case des deutschen Fernsehens, Kriminalistik-Dozent und echter Profiler – angesichts vieler selbsternannter Kollegen bezeichnet er sich aber lieber als Fallanalytiker.

Montag

»Sturm in Orkanstärke!« »Zehn Meter hohe Wellen!« – Stunden bevor es uns real und deutlich schwächer trifft, sucht sich ein Unwetter vor Ostisland flüsternd den Weg durch die Sitzreihen im Vortragssaal. Die Crime Cruise bittet zum Wellentanz. Alte isländische Schriften erzählen davon, dass einige Gruppen der Erstbesiedler des Landes von Frauen geführt wurden. Starke Frauen. Seefeste Frauen. Ganz in deren Tradition bespielen Frauen an diesem wilden Montag die Crime Cruise Bühne, als würden sie auf einem Ausflugsdampfer über die Spree tuckern. Die ein oder andere machte angesichts des Cocktails von Antiseekrankheitsmitteln im Blut zwar einen etwas bekifften Eindruck und andere haben grünes Makeup aufgelegt, aber sie stehen ihre Frau auf der Bühne. Besonderer Dank an Tatjana Kruse, die Doyenne der Krimödie, der Frucht der Liebe von Krimi und Komödie. Tatjana schenkte uns vergnüglichste Momente bei wildestem Seegang und gibt sogar doppelten Einsatz an diesem Tag – eine Extralesung.

Zum Glück gibt es wohl keine Fährschiff-Crew, die sich in diesen Gewässern besser auskennt, als die der Norröna, Heimathafen Tórshavn auf den Färöer. Um dem Sturm auszuweichen wird kurzerhand der Fahrplan geändert. Schon ab dem späten Sonntag hetzten wir durch die Nacht, als wäre der Seeteufel hinter der Norröna her. Sie erreicht zwei Stunden früher als geplant Tórshavn, erledigt Ent- und Beladen im Schnelldurchgang und legt kurz nach sechs statt um 14 Uhr wieder ab. Gegen Mitternacht, fast neun Stunden vor der planmäßigen Ankunft und dem Höhepunkt des Sturms, schiebt sich die Fähre dann um den Leuchtturm von Dalatangi herum in den geschützten Seyðisfjörður. Von einem Augenblick zum nächsten endet der Wellenritt.

Dienstag und Mittwoch

Während die Norröna ruhig in Seyðisfjörður am Kai liegt, tobt auf dem Meer noch das Unwetter und schiebt dicke Wolken über den Fjord. Der Dienstagmorgen ist griesegrau. Etwas Schnee, eher Graupel. Das Deck leicht vereist. Wer Island kennt, weiß aber, dass es hinter dem nächsten Pass ganz anders aussehen kann: In der Tat liegt Egilstaðir schon unter einem freundlichen Winterhimmel, nur der Nordwind aus der Arktis plus Windchill Faktor sorgen für einen Brrrrrrrrrrrr-Effekt! Zum Glück liegt Islands einziger Wasserfall für Vegetarier und Veganer geschützt, der Tófufoss.

Der Mittwoch will wohl alles vergessen machen. Sonne und Alpenglühen auf den Bergen neben der Passstraße von Seyðisfjörður ins Hinterland. Fernsichten ohne sichtbares Ende. Wasserfälle neben der Straße im Übergangsstadium zu Eisskulpturen. Die aus den grauen Fluten der umgeleiteten Jökulsá á Brú ans Tageslicht getretene Basaltsäulenschlucht Stuðlagil wird zum Sightseeing-Highlight für uns, das Vök Bad mit seinen Thermalbecken im langsam zufrierenden Urriðavatn zur Wohlfühlperle. Schließlich ein Abendspaziergang durch Seyðisfjörður. Sorry du kleine, hübsche Stadt, dass ich dich sträflich vernachlässigt habe. Beim nächsten Mal schau ich mich mehr um.

Fernsicht scheinbar ohne Grenzen: der Snæfell in seltener Klarheit

Dann das Nordlicht. Shit happens! Einige Komplizen haben es gesehen, fotografiert und gepostet. Und ich? Dauernd habe ich an Deck geschaut, die Aurora-App kontaktiert. Im entscheidend kurzen Zeitfenster sitze ich aber beim Essen, oder war es in der Bar oder bei einem Vortrag? Wie kann ich das zu Hause bloß erklären: Da fahre ich zur besten Zeit für Nordlichter nach Island und sehe sie nicht!

Peinlich: Um zuhause nicht zugeben zu müssen, dass das ich das echte Nordlicht im Restaurant ausgesessen habe, muss Photoshop aushelfen: Meine alternative Realität. Sorry, alles Fake!

Donnerstag

Die Norröna auf Südkurs. Gegen Mittag taucht sie in die Inselwelt der Färöer ein, nimmt die Passage zwischen Kalsoy – ein Filmsets für den jüngsten James Bond – und Kunoy. Je näher wir Tórshavn kommen, desto mehr Struktur zeigt der Himmel. Das Deck füllt sich.

Annäherung an den nächsten Zwischenstopp: Die Färöer

Später bummle ich in der Altstadt von Tórshavn durchs bannmeilenlose Regierungsviertel und gönne mir einen perfekten Espresso Macchiato in einem schnuckeligen Café am Hafen. Aber ehrlich gesagt: Es ist Anfang November. Gegen 16 Uhr wird es dunkel und bis zum kürzesten Tag des Jahres sind es noch eineinhalb Monate – das ist nicht mein Breitengrad für die Winterzeit.

Bummel in Tórshavns Altstadt, bürgernahes Regierungsviertel inklusive

An Bord überrascht das Service Team im Speisesaal die Komplizen mit einem mörderischen Abendessen, später stellt Sybille Baecker auf der Crime Cruise Bühne ihren Kommissar Brander vor. Endlich einmal ein glücklich verheirateter und zufrieden lebender Kommissar – sie wollte ihn bewusst so, erzählt Sybille. Brander ist leidenschaftlicher Whisky Genießer. Also verbindet die Autorin ihre Lesung mit einem Tasting: Zwei Whiskys mit Wurzel auf den Inseln des Nordatlantik werden gereicht, der weltbekannte Highland Park von den Orkney Inseln und ein junger Isländer namens Flóki. Ein kritischer Testtrinker beurteilte ihn als »In Alkohol aufgelöste Schafsköttel« – immerhin wird das Getreide, aus dem er gebrannt wird, genau darüber geräuchert.

Freitag, Samstag und das war’s dann

Der Freitag ist wieder voller Seetag. Auf Deck sind Tatortreiniger mit der Spurenbeseitigung unserer Reise beschäftigt, während die Norröna wieder an der Shetland Nordspitze vorbei zieht. Auf der Crime Cruise Bühne ereignet sich am Abend der Mordfall »Sara« – Petermann und Lukaschewski, das Dreamteam der Tatortanlyse, haben ihn inszeniert, die Komplizen sollen lösen. Dann heißt es Abschied nehmen, ein tolles Team und die Gäste sind geradezu Freunde geworden. Wehmut kommt auf. Danke.

Der Samstag ist frühes Aufstehen. Kabine räumen. Frühstücken. Ankommen in Hirtshals. Das Wetter ist noch etwas grauer als eine Woche zuvor bei der Abfahrt. Trotzdem haben eigentlich alle, die ich von Bord gehen sehe, ein Lächeln auf den Lippen trotz mörderischer Kreuzfahrt mit Schaukeln und Schaudern. Sprachfetzen, die ich höre, signalisieren: Für viele war dies nicht die letzte Crime Cruise. Denke ich mir auch!


Neuauflage: Crime Cruise 2022

Das Programm für die 2022er Auflage der »Crime Cruise« steht fest: Die »Norröna« startet am 29. Oktober im dänischen Hirtshals zu ihrem 7-tägigen Törn zu den Färöer und nach Island, für alle Stopps werden spannende Landexkursionen angeboten.

Für das 2022er »Krimi-Festivals auf dem Nordatlantik« haben namhafte Autoren zugesagt: Arno Strobel, einer der bekanntesten deutschsprachigen Thriller-Autoren überhaupt, wird an Bord einen brandneuen Titel vorstellen. Eva Almstädt muss für diese Reise über den Nordatlantik das Meer wechseln, ist sie doch sonst eher für ihre Ostsee-Krimis bekannt, in der Kommissarin Pia Korittki schon 15 Fälle lösen musste und ein paar Urlaubsfälle obendrein. Anne Nørdby lässt es indes ganz nordisch angehen. Die auf der dänischen Inseln Møn lebende Autorin ist längst vom Geheimtipp unter Krimifans zur Bestsellerautorin mutierte und schickt die Helden ihrer beiden Roman-Reihen durch sorgfältig recherchierte skandinavische Städte und Landschaften auf Verbrecherjagd. Tom Skagen, Ermittler der panskandinavischen Polizeieinheit Skanpol ist als Ex-Seemann idealer Protagonist für eine Krimi-Kreuzfahrt – sein jüngste Fall »Kalter Fjord« (2022) spielt gar auf einem Schiff. Derweil unterstützt in »Eis, Kalt, Tot« (2021) die auf Grönland aufgewachsene Super-Recognizerin Marit Rauch Iversen als externe Spezialistin die Kopenhagener Kripo bei der Jagd nach einem Psychopathen der übelsten Art. Der Fall bringt Marit und ihren Kollegen Jesper Jørn Bæk bis nach Grönland – eine gewollte Reminiszenz an „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“. Anne versicherte mir auf Anfrage: Sie bringt beide Helden mit an Bord!

Mit Karin Müller und Alice Pantermüller kommen zwei von Island begeisterte Autorinnen aus den Grenzbereichen des Krimi Genres mit auf die Reise – sie werden ein Krimi Theater inszenieren. Für Karin ist die Crime Cruise kein Neuland. 2019 war sie an Bord und hat aus ihren Erlebnissen die romantische Komödie „Kein Isländer ist auch keine Lösung“ gestrickt.

An Bord sind schließlich noch weitere Wiederholungstäter wie Axel Petermann und Dr. Manfred Lukaschewski, Barbara van den Speulhof wird als Schreib-Coach in einem dreiteiligen Workshop Schreibinteressierten wieder Starthilfe geben und die Kultur-Journalistin und TV Moderatorin Katrin Schumacher wird sicher wieder brillant und bestens vorbereitet durch das Programm führen. 

Infos und Buchungen für die Crime Cruise 2022: www.crime-cruise.de, www.smyrilline.de/kreuzfahrt/crime-cruise.

© Bilder: Crime Cruise

Alice Pantermüller, Anne Nørdby, Arno Strobel, Axel Petermann, Barbara van den Speulhof, Carola Christiansen, Eva Almstädt, Karin Müller, Katrin Schumacher, Manfred Ertel, Dr. Manfred Lukaschewski, Sybille Baecker, Tatjana Kruse, Mörderische Schwestern

Über den Autor

Hans Klüche

Hans Klüche lebte mehrere Jahre in Dänemark und berichtete von dort als freier Auslandskorrespondent für öffentliche rechtliche wie private Hörfunksender. Als er aus familiären Gründen wieder nach Deutschland zog, blieb er dem Land als Autor und Fotograf treu und schreibt jetzt regelmäßig im Nordis-Magazin über das kleine Königreich. Zur Recherche durchstreift er es immer wieder von Felseninseln der Ertholmene ganz im Osten bis zu den rauen Stränden der Nordseeküste. Hans verfasst jedes Jahr den Dänemark-Teil des »Nordis Skandinavien Reisehandbuch« und hat auch sonst zahlreiche Reiseführer, Bildbände und sogar ein Hörbuchmanuskript geschrieben. Außer über Dänemark veröffentlichte er schon über Island, Norwegen und Neuseeland. Alle Titel finden sich auf seiner Autorenseite bei einem großen Online-Händler (www.hans-klueche.de). Aktuell Lieferbar sind u.a. »DuMont Reisehandbuch Dänemark«, »DuMont Reisetaschenbuch Dänemark Nordseeküste«, »DuMont direkt Kopenhagen« und über das Traumziel auf der anderen Seite der Erde das »DuMont Reisehandbuch Neuseeland«.

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